Posts Tagged ‘Gender’

An die Arbeit! Die ITH-Tagung diskutierte in Berlin über Arbeit und Nichtarbeit

1. Oktober 2015

Von Ralf Hoffrogge (Bochum/Berlin)

Arbeit, Arbeitskämpfe, Arbeiterbewegung – seit dem 19. Jahrhundert sind dies zentrale Begriffe, die „soziale Frage“ oder „Arbeiterfrage“ wurde beantwortet durch Sozialreform wie Sozialismus und definierte damit neue Achsen politischen Denkens. Doch was ist eigentlich Arbeit? Diese Frage stellten sich Historikerinnen und Historiker auf der ITH, der „International Conference of Labour and Social History“, die vom 17-19. Dezember in Berlin stattfand.

Die seit 1964 jährlich stattfindende „Linzer Konferenz“ der „HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen“ musste wegen Renovierungsarbeiten ihren Tagungsort in Österreich räumen, fand aber im Wissenschaftszentrum Berlin am Reichpietschufer einen würdigen Ersatz. Die Straße ist benannt nach Max Reichpietsch, Anführer der Matrosenrevolte von 1917 und Märtyrer der Arbeiterbewegung. Doch war Reichpietsch Arbeiter? Vom Milieu her vielleicht, von der Profession wohl kaum – ein Zwangsdienst leistender Matrose produziert keinen Mehrwert, nackter Zwang „motiviert“ ihn zu seiner Tätigkeit. Diesen Zwang, der in Form von Wehrpflicht, Arbeitslagern und anderen Repressalien die sogenannte „freie Lohnarbeit“ immer begleitete, wenn nicht hervorbrachte, untersuchte die ITH bereits im Jahr 2014. Nun schritt man voran zur Generaldebatte und fragte, was „Arbeit“ eigentlich ist. Im Zentrum stand das Bemühen, den klassischen Focus sowohl marxistischer als auch neoklassischer Theorien auf warenförmige Lohnarbeit auszuweiten, Arbeitsformen und Arbeitende einzubeziehen, die bisher unter den Tisch fielen. (more…)

Marxistische Kunstgeschichte zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit, Wien, 27. und 28. November 2015

27. Januar 2015

Symposium „Aber etwas fehlt. But something’s missing.“ Marxistische Kunstgeschichte zwischen Möglichkeit und Notwendigkeit
27. und 28. November 2015, Wien, mumok Museum moderner Kunst

information_knowledge„Aber etwas fehlt!“, insistiert Paul Ackermann, eine der Zentralfiguren von Bert Brechts Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1930), gegenüber seinen das Leben feiernden FreundInnen. Inmitten dieser Hochburg des Vergnügens, der „Netzestadt“ Mahagonny, die die Arbeit abgeschafft hat und in der für Geld jeder Spaß zu kaufen ist, verspürt Paul Ackermann einen Phantomschmerz. Heute scheint die Situation, die Brechts Mahagonny ausmalt, durchaus realistisch: die Existenz einer Welt, in der Arbeit nicht mehr den Kern der gesellschaftlichen Synthese bildet und in der es dennoch keinen Grund zum Feiern gibt.
Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts waren VertreterInnen der marxistischen Kunstgeschichte wie Lu Märten, Arnold Hauser, Meyer Schapiro, T. J. Clark, Carol Duncan oder Linda Nochlin entscheidende ImpulsgeberInnen für die Verknüpfung gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen mit der Frage nach der Relevanz der Kunst. Es war die marxistische Kritik, die das Produktionsumfeld der Werke und ihrer ErzeugerInnen in die Kunst hineinzog und damit die Kunst aus der gesellschaftlichen Isolation der repräsentativen Exzellenz herausführte.
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Argumentationshilfe zum Unwissenschaftlichkeits-Vorwurf an die Gender Studies

4. Juli 2013

Wer mit dem Begriff „Gender“ arbeitet, wird nicht selten mit dem Vorwurf einer prinzipiellen Unwissenschaftlichkeit konfrontiert. Die Broschüre, die als PDF frei erhältlich ist, geht diesem Vorwurf nach und gibt Argumente für entsprechende Auseinandersetzungen an die Hand.
Es werden mediale Entstehungsmythen des Begriffs Gender nachgezeichnet und Verzerrungen in der Darstellung des Genderdiskurses beleuchtet. Auch wird dargestellt, wie im Schlagwort „Genderismus“ unterschiedlichste Sachverhalte aus Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitik vermischt werden.
Der Begriff „Gender-Ideologie“ wird unter die Lupe genommen: Er soll delegitimieren, wirft dabei aber Fragen auf, zu deren Beantwortung gerade die Gender Studies viel beitragen können. Auch wird erläutert, welchem spezifischen Wissenschaftsverständnis der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit entspringt, das wiederum einen nicht begründbaren Alleinvertretungsanspruch erhebt.
An Beispielen wird schließlich greifbar, wie sehr der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit auf einem Doppelstandard basiert, und sich – ganz entgegen dem eigenen Anspruch auf Neutralität und Objektivität – als politisch motiviert erweist.
Frey, Regina/Gärtner, Marc/Köhnen, Manfred/Scheele, Sebastian (2013): Gender, Wissenschaftlichkeit und Ideologie – Argumente im Streit um Geschlechterverhältnisse, Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 72 Seiten.

Gender in Bibliotheken – Ein 45-minütiger Dokumentarfilm

3. April 2013

In dem Dokumentarfilm werden mögliche Fragestellungen der  Geschlechterforschung an die Informations- und Bibliothekswissenschaft aufgezeigt und die Bibliothek als ein Ort gekennzeichnet, an dem auf vielfältige Weise Geschlecht ver- bzw. behandelt und konstruiert wird.
Der Film gibt vier Expertinnen Raum, aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Frage nachzugehen, welche Rolle Geschlecht in Bibliotheken spielen kann bzw. welche Bedeutung Geschlecht für die Berufsgruppe der Bibliothekar_innen hat.
Helga Lüdtke zeigt aus einer historischen Perspektive die Entwicklung des bibliothekarischen Berufs zu einem Frauenberuf auf und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Ort Bibliothek und den bibliothekarischen Beruf insgesamt.
Margit Hauser stellt dar, warum die Einrichtung feministischer Bibliotheken und Archive in den 1970er Jahren notwendig war und welche Rolle diese Einrichtungen in unserer Zeit spielen.
Monika Bargmann setzt sich mit Vergeschlechtlichungen von Bibliothekar_innen und Stereotypen von Bibliothekar_innen in Filmen und Büchern auseinander.
Elisabeth Wiesbaum berichtet von praktischen Erfahrungen, die bei der Implementierung und Umsetzung von Gender Mainstreaming in einer Öffentlichen Bibliothek in Berlin gewonnen werden konnten.
Der Dokumentarfilm von Danilo Vetter ist hier auf youtube online.

Der Dank für Hinweis geht an Katharina Braun von Archiv und Bibliothek des Frauenzentrums belladonna in Bremen.

Fakten mit Fiktionen – Ein Gespräch über historische Romane

4. Januar 2013

Wie kommt man eigentlich dazu, historische Romane zu schreiben? Mit welchen Problemen ist man konfrontiert? Und welche Chancen bietet dieses Genre? Notizen zu einem Gespräch mit Sarah Rubal, die einfach ein paar Romane geschrieben hat.

„Das ist ein Tabubruch“, sagt Sarah Rubal.
„Historiker schreiben keine Romane und schon gar keine Liebesgeschichten zwischen Indianern und Deutschen“.

Das sagt sie, weil sie es längst besser weiß. Drei Romane hat die Ethnologin bislang geschrieben. Und zwei Kinderbücher. Sarah Rubal hat eine Leidenschaft für das Schreiben entwickelt. Daneben hält sie diese Arbeit politisch für wichtig. Sie will eingreifen, ihr Wissen und ihre Fragen über Romane vermitteln.

Gesucht: Ideen für eine andere Welt

HK Causeway Bay Hysan Place at Lee Gardens Eslite Bookstore interior Visitors books Aug-2012

Man muss ja nur in eine x-beliebige Buchhandlung gehen, um die Bedeutung historischer Romane in der Alltagskultur zu begreifen. Tanja Kinkel, Ken Follet oder der „Cyberpunker“ Neal Stephenson mit seinem Barock-Zyklus prägen heute ganz maßgeblich Geschichtsbilder. In Millionenauflage. Jeden Tag. Im Urlaub. In der Straßenbahn. Egal, ob als klassisches Buch oder im Kindle. Auch in Kino und Fernsehen finden Die Säulen der Erde, Die Wanderhure oder Luther ihr Publikum.

Mag sein, dass aktuell die mental vom Neoliberalismus und Postmodernismus Zugerichteten im historischen Roman nach etwas suchen, das in Politik und Kultur nicht geboten wird.  Neu ist das Phänomen jedenfalls nicht.

Schon im 19. Jahrhundert faszinierten Leute wie Sir Walter Scott, William Harrison Ainsworth, Leo Tolstoi oder Charles Dickens ihre Leserinnen und Leser. Der historische Roman war der treue Wegbegleiter der neuen bürgerlichen Gesellschaft. Und er verdankte seine Popularität dem Aufblühen der historischen Wissenschaften.

Dann, im 20. Jahrhundert, entwickelte sich der historische Roman als Kunstform weiter. Auch linkspolitisch engagierte Autoren experimentierten mit den Möglichkeiten des Genres. Dafür stehen wieder große Namen wie Ricarda Huch, Lion Feuchtwanger, Alfred Döblin, Alfred Andersch, Peter Weiss oder Uwe Timm.

Trotz dieser langen Tradition gibt es bis heute keine genaue Definition, was einen historischen Roman eigentlich ausmacht, außer dass er historisch authentische Personen und Vorfälle behandelt oder zumindest in einem historisch beglaubigten Umfeld spielt und auf einem bestimmten Geschichtsbild beruht. (Vgl. Metzler, 201)

Man kann historische Romane entsprechend ihrem Selbstverständnis in einer einfachen Matrix kategorisieren:

  • Der Roman will nur unterhalten oder er will über die Unterhaltung die eigene Gesellschaft verändern. (X-Achse)
  • Er ignoriert weitgehend die historischen Fakten um sich auf die Komposition des Geschichtsbildes zu konzentrieren oder er lässt sich stark vom historischen Stoff leiten. (Y-Achse)

Historische Romane sind attraktiv, weil sie immer alternative gesellschaftliche Verhältnisse behandeln. Und auch, wie diese zustande kommen. Der historische Roman antwortet auf die kollektive Erfahrung gesellschaftlicher Veränderung und fragt nach Perspektiven. Und so liefern viele Romane, was die heutigen historischen Wissenschaften in der Tendenz nicht mehr liefern können oder wollen: Ansätze für eine andere Welt.

Die Faszination am historischen Roman ist der Versuch, das was Ernst Bloch als „Noch-Nicht-Sein“ als „Noch-Nicht-Haben“ bezeichnet, bildlich zu fassen. Aber wie macht man das, ohne in die Fallen der Romantik zu tappen? (more…)

Jetzt anmelden zum 2. Workshop Kritische Geschichte in Berlin

29. Dezember 2011

Noch gute zwei Wochen Zeit, um sich für den 2. Workshop Kritische Geschichte anzumelden. Ein paar Sätze zum Programm, das auf der Webseite von reflect! nachgelesen werden kann.

Beim Workshop vor einem Jahr flogen jede Menge Begriffe durch den Raum (Klasse, Alltagsgeschichte, Gender, Historischer Materialismus…) zu denen unvermeidlich Fragen aufkamen: Was bedeuten die Begriffe eigentlich genau, was kann ich damit konkret in meiner Arbeit anfangen, wer sind die Namen dahinter, welche Schulen gibt es da, wo kann man denn was nachlesen und so weiter. Deswegen gibt es einen Tag mit kurzen Einführungen. Um die Themen Klasse und Gender werden die Ansätze des Historischen Materialismus, des Postkolonialismus und der Alltagsgeschichte aufgezeigt. Gedacht als Hilfe zur Selbsthilfe: Was sind die Grundprobleme und was gibts an brauchbarer Literatur dazu.

Am zweiten Tag gibt es parallele Panels mit Projektvorstellungen zu Didaktik sowie Theater und Geschichte. Da bin ich persönlich auch schon sehr gespannt drauf.

Der Workshop ist schon deswegen interessant, weil man viele Leute mit spannenden Themen kennenlernt und wiedertrifft. Es gibt viel Austausch über Projekte. Ja. Es lohnt sich. Deswegen einfach anmelden und hinfahren. Avanti, avanti.

Pariser Kommune 1871 – Artikel von Helmut Bock

28. Mai 2011

Helmut Bock lässt heute in einem lesenswerten Zeitungsartikel die Pariser Kommune von 1871 Revue passieren.

Tatsächliche und grundstürzende »Sozialisten« oder gar »Kommunisten« waren die Pariser Kommunarden nicht. Dennoch waren sie unmittelbare »Wegbereiter« einer Gesellschaft, in der neue Menschen leben und ein neues Menschenbild herrschen sollte. Die Kommune hat in den zwei Monaten ihrer Existenz Beachtliches auf den Weg gebracht, nicht nur in Bildung und Schulwesen, sondern insbesondere auch einen Wandel im Arbeits- und Sozialwesen eingeleitet: Arbeitsschutzbestimmungen, erste Betriebsräte und Gewerkschaften, Tarifvertrag und Frauenemanzipation. Alle französischen Revolutionen hatten die Unmündigkeit der Frau beibehalten – erst die Kommune bewirkte die Bildung eines Frauenbundes und einer Frauengewerkschaft und debattierte die Gleichberechtigung bis hin zu den Löhnen.

Bock, Helmut: Das Ende der alten Welt. Kommunale Basisdemokratie und soziale Republik – Das Vermächtnis der Kommunarden, in: Neues Deutschland vom 28.5.2011

Alice Schwarzer lauert überall – oder wozu man den Islam alles verwenden kann.

7. Oktober 2010

Ein Kommentar zu Alice Schwarzers neuem Buch „Die große Verschleierung:

Die indische Historikerin Gayatri Spivak hat einen sehr klaren Satz über den westlichen Imperialismus und die muslimische Frau geprägt: Die Imperialisten hätten ihre Machtpolitik als Aktion verkauft, um „braune Frauen vor braunen Männern zu retten“. Und: Die Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert habe sich zu lange nicht von dieser Position lösen können (Spivak, Gayatri: „Can the subaltern speak?“, in: Cary Nelson (Hg.), Marxism and the Interpretation of Culture, Chicago 1988, S. 271-313, hier S. 296f.).

Spivak erklärt in einem kurzen Video ihre Position für die iranischen Oppositionsbewegung. (Sie tritt ab 3.35 Minuten auf):

Spivak macht klar: Es geht um die eigene Perspektive und die Ansprüche der Frauen nicht um irgendwelche Befreiungsaktionen aus einer moralischen Überheblichkeit heraus. Belege  für die Versuche, muslimische Frauen für politische Zwecke zu benutzen, finden sich auch im öffentlichen Islam-Bashing im Deutschland des Herbstes 2010, z.b. im neuen Buch von Alice Schwarzer:

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Wer zahlt die Zeche? Debatten um Umweltgerechtigkeit

19. Januar 2010

Grubenunglück Zeche Minister Stein (Dortmund) 1925, Wikimedia Commons (Deutsches Bundesarchiv)

Gedanken zu einem Artikel von Jonas Ebbesson in der schwedischen Zeitschrift Arena (engl. bei Eurozine). Sein Thema ist Umweltgerechtigkeit.

Lange Zeit schienen die Linien an der Umweltfront klar gezogen. Auf der einen Seite standen Umweltaktivisten, oft dem linken politischen Spektrum zugeordnet, auf der anderen die Wirtschaftslobby und das konservativ-liberale politische Spektrum, das auf die überragende Bedeutung von Wirtschaftswachstum hinwies, das Arbeitsplätze schuf und Wohlstand und durch übertriebene Maßnahmen zum Umweltschutz nicht gefährdet werden durfte. Sozialdemokratie und Gewerkschaften waren hin- und hergerissen zwischen Arbeitsmarktpolitik und Umweltbewegung. Seit einigen Jahren hat sich die Situation verändert. Insbesondere der Klimawandel und die weltweite Debatte darüber haben das Thema Umwelt für alle politischen Akteure attraktiv werden lassen. (more…)

Auf zum Geschichtskongress in Oberhausen!

2. August 2009

Vom 08. bis 10. Oktober 2009 findet in Oberhausen der Geschichts-Kongress „Bewegung Macht Geschichte“ statt. Er beschäftigt sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der „Geschichte von unten“. Kritische-geschichte.de ist natürlich auch dabei. Das Programm gibts hier: Kongress Flyer