Archive for the ‘Globalgeschichte’ Category

#mustread. Erste Ausgabe von „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ ist erschienen

9. Februar 2016

A-B-G-Logo-300x285Arbeiterbewegung (und Geschichte der Arbeiterbewegung) erlebt derzeit ein Revival. Sowohl ein kleines in der Akademie und ein mittleres in der realen Arbeits-Welt. Ein Zeichen für das letzte sind die Zunahme von Arbeitskämpfen, auch im globalen Norden, eines für das erste die Ausbreitung der „Global Labour History“ (GLH) in der vor allem internationalen Arbeits- und Arbeitergeschichte. GLH nimmt auch Formen von „Arbeit“ jenseits des klassischen, männlichen Normalarbeitsverhältnisses in den Blick: Sklaverei, Sex-Arbeit, prekarisierte und Care-Arbeit.

Arbeit – Bewegung – Geschichte versucht die Erneuerung der Arbeitergeschichtsschreibung oder besser: des Verfassens der Geschichte der arbeitenden Menschen und ihrer Versuche, sich zu organisieren, mit voranzutreiben. Von 2002 (vgl. Anm. 1) bis 2015 erschien diese Zeitschrift unter dem Namen JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Vorher, und das bedeutet konkret seit der Gründung 1969 bis 1989/90, war sie die offizielle Fachzeitschrift der DDR zum Thema, herausgeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und hieß Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG). Nach der Abwicklung der DDR wurde sie von DDR-sozialisierten HistorikerInnen ehrenamtlich weiter getragen – und geprägt. Dieser Ost-Nimbus war aber auch ein Hindernis bei der Weiterentwicklung der Zeitschrift hin zu weitergespannten Themen und zur Platzierung als Zeitschrift, die im wissenschaftlichen Diskurs nicht ignoriert werden kann. (more…)

First Conference of the European Labour History Network – Turin

21. Dezember 2015

Video von der Eröffnung der First Conference of the European Labour History Network in Turin (14.12. 2015) – auf dem Podium Marcel van der Linden und Geoff Eley und zwei weitere weiße Männer über 50 …. #50prozent

An die Arbeit! Die ITH-Tagung diskutierte in Berlin über Arbeit und Nichtarbeit

1. Oktober 2015

Von Ralf Hoffrogge (Bochum/Berlin)

Arbeit, Arbeitskämpfe, Arbeiterbewegung – seit dem 19. Jahrhundert sind dies zentrale Begriffe, die „soziale Frage“ oder „Arbeiterfrage“ wurde beantwortet durch Sozialreform wie Sozialismus und definierte damit neue Achsen politischen Denkens. Doch was ist eigentlich Arbeit? Diese Frage stellten sich Historikerinnen und Historiker auf der ITH, der „International Conference of Labour and Social History“, die vom 17-19. Dezember in Berlin stattfand.

Die seit 1964 jährlich stattfindende „Linzer Konferenz“ der „HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen“ musste wegen Renovierungsarbeiten ihren Tagungsort in Österreich räumen, fand aber im Wissenschaftszentrum Berlin am Reichpietschufer einen würdigen Ersatz. Die Straße ist benannt nach Max Reichpietsch, Anführer der Matrosenrevolte von 1917 und Märtyrer der Arbeiterbewegung. Doch war Reichpietsch Arbeiter? Vom Milieu her vielleicht, von der Profession wohl kaum – ein Zwangsdienst leistender Matrose produziert keinen Mehrwert, nackter Zwang „motiviert“ ihn zu seiner Tätigkeit. Diesen Zwang, der in Form von Wehrpflicht, Arbeitslagern und anderen Repressalien die sogenannte „freie Lohnarbeit“ immer begleitete, wenn nicht hervorbrachte, untersuchte die ITH bereits im Jahr 2014. Nun schritt man voran zur Generaldebatte und fragte, was „Arbeit“ eigentlich ist. Im Zentrum stand das Bemühen, den klassischen Focus sowohl marxistischer als auch neoklassischer Theorien auf warenförmige Lohnarbeit auszuweiten, Arbeitsformen und Arbeitende einzubeziehen, die bisher unter den Tisch fielen. (more…)

[cfp] Before ’68: The Left, activism & social movements in the long 1960s

20. Mai 2015

The events of 1968, particularly those in France, have achieved a mythical status in both the memory and the historiography of the 1960s. For some, 1968 marked the end-point of a realignment of the European ‘New Left’. For others 1968 represented a student generation in revolt, and many of the first accounts which sought to explain the history and meaning of ’68 were written by that generation.
More recently historians have tried to demythologise ’68, looking both at less ‘glamourous’ locales and at the deeper histories of anti-colonial struggles and worker activism prior to the events of that year. The aim of this conference is to explore the diverse histories of social activism and left politics in Britain and elsewhere, and how they prepared the ground for and fed into ‘1968’. Themes might include, but are not limited to:

• Anti-nuclear & peace movements
• Civil Rights struggles
• The Black Power movement
• Anti-colonial politics
• The activities of the Labour movement and the ‘traditional’ Left
• The grassroots activism of the ‘New Left’
• Far Left challenges: Trotskyism & Maoism
• Campaigns around housing and the built environment
• Campaigns around race and discrimination in the workplace and housing
• Solidarity movements with struggles abroad (e.g. South Africa, Vietnam)
• Campaigns for Homosexual Equality
• Second Wave Feminism

We are seeking papers of 5000 to 10000 words on any aspects of left activism and social movements in the period preceding 1968 to be presented at the conference. Selected papers will be published in a special issue of the journal Socialist History. Attendance at the conference will be free of charge, but we ask that anyone wishing to attend registers in advance. Proposals for papers and any enquiries should be submitted to Ben Jones. Email: b.jones5(ätt)uea.ac.uk

Deadline for proposals for papers: 31 October 2015

Weekend conference: Before ’68: The Left, activism & social movements in the long 1960s
Dates: 13 and 14 February 2016
Venue: School of History, University of East Anglia, Norwich, NR4 7TJ, UK

Organised and hosted by UEA School of History in conjunction with the journal Socialist History and the Institute of Working Class History, Chicago.

Schweiz: Kolonialismus ohne Kolonien?

22. Juni 2013

Es wird Zeit, dass sich die Schweiz ihren kolonialen Verstrickungen und den daraus hervorgegangenen Bildern und Denkmustern stellt. Das ist der Tenor der Forschungen einiger jüngerer kritischer Historiker_innen und Ethnolog_nnen. Besprechung von drei Büchern zum Thema in der linksliberalen schweizerischen Wochenzeitung vom 30. Mai 2013.

Kolonialismus im Deutschen Historischen Museum – ein kritischer Audioguide

20. Februar 2013

[UPDATE] Bericht in der taz, Berlin-Teil am 4.3. 2013: Eine Gruppe junger Wissenschaftlerinnen wirft dem Deutschen Historischen Museum vor, die koloniale Vergangenheit auszublenden – und bietet dafür einen alternativen Audioguide an

Was wissen wir über die deutsche Kolonialvergangenheit? Was hat Kolonialismus mit deutscher Geschichte zu tun? Welche Auswirkungen hatte und hat er noch heute auf die deutsche Gesellschaft? Über die gewaltvolle Geschichte des deutschen Kolonialismus wird in der deutschen Gesellschaft kaum diskutiert. Auch im Deutschen Historischen Museum in Berlin bleibt sie bestenfalls eine Randnotiz. In einer Glasvitrine abseits der historischen Erzählung über das Kaiserreich sollen sich Betrachterinnen und Betrachter mittels eines Sammelsuriums kolonialer Artefakte ein Bild von der kolonialen Vergangenheit machen. Auf diese Weise wird die Kolonialgeschichte von allen anderen Entwicklungen abgetrennt, die in der Ausstellung dargestellt werden – als gäbe es zwischen Kolonialismus und Populärkultur, Reichstagsdebatten oder Wissenschaften keinen Zusammenhang.

Der von der Initiative „Kolonialismus im Kasten?“ unabhängig vom DHM konzipierte und produzierte Audioguide, der ab sofort im Internet zum Herunterladen zur Verfügung steht, setzt sich kritisch mit dieser Art von Darstellung „nationaler“ Geschichte auseinander. In 30 Hörstücken verknüpft er den deutschen Kolonialismus mit den in der Dauerausstellung präsentierten Themen und Objekten – von der Reichsgründung über Arbeitskämpfe bis hin zur Populärkultur und Geschlechterpolitik. Dabei erzählt er Geschichten von kolonialer Gewalt, Rassismus und wirtschaftlicher Ausbeutung, aber auch von Selbstbehauptung und erbittertem Widerstand. (more…)

Drei hochaktuelle Grundlagenwerke für die Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte

30. Dezember 2012

Sollte es nicht doch einen gewissen Kanon von Büchern geben, die alle Menschen, die mit Geschichte arbeiten, irgendwie kennen müssen? Das ist manchen sicher zu apodiktisch. Dennoch glaube ich, dass man so etwas brauchen kann. Damit sich alle auf etwas positiv wie negativ beziehen können. Wie umfangreich wäre dann so eine Kanon? Keine Ahnung. Diese drei Bücher aus dem Bereich Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte gehören für mich auf jeden Fall dazu. Alle drei beschäftigen sich auf ihre Weise mit der Formation von Gesellschaften.

wallerstein_IVImmanuel Wallerstein: Der Siegeszug des Liberalismus (1789-1914). Das moderne Weltsystem IV. Wien 2012.

Dieses 2011 geschriebene Buch, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, steht nur stellvertretend für das ganze Hauptwerk Wallersteins: Das moderne Weltsystem. Wallersteins Weltsystemanalysen sind nicht nur für Globalhistoriker/innen wichtig. Auch für lokale Studien ist es von Bedeutung, den Horizont mit Wallerstein zu weiten und Vorgänge vor Ort in größere Veränderungsprozesse einzubetten.

Denn Wallerstein sieht die Geschichte des modernen Weltsystems von zwei großen Zyklen bestimmt: Kondtratjew-Zyklen mit einer Dauer von 50 bis 60 Jahren und länger andauernden Zyklen des Aufstiegs und Falls von Hegemonialmächten. Zu diesem Ansatz kommen weitere Themen dazu: Der Entwicklung von Zentren und Peripherien, sowie die jeweiligen Klassenkämpfe, von denen dieses Veränderungen ausgehen.

Wallersteins Thesen sind im Detail streitbar, aber er eröffnet immer wieder neue Sichtweisen, wie zum Beispiel die Interpretation der Französischen Revolution als letzten Versuch, England in der Auseinandersetzung um die Stellung als Hegemonialmacht zu besiegen und als erste „antisystemische“, antikapitalistische Revolution des modernen Weltsystems, die jedoch scheiterte.

In Band vier geht es um den Triumph des Liberalismus im 19. Jahrhundert, den zentristischen Liberalismus als Ideologie, über den liberalen Staat und seine Klassenwidersprüche. Thema sind außerdem die Bürger im liberalen Staat und der Liberalismus als Sozialwissenschaft. Das Buch könnte angesichts des gegenwärtigen neoliberalen Dogmas nicht aktueller sein. So räumt Wallerstein unter anderem mit der Vorstellung auf, dass der Liberalismus je eine Metastrategie gegen den gegen den Staat gewesen sei, er strebte nicht einmal den sogenannten Nachtwächterstaat an und stand auch nicht zum Laissez-faire:

Liberalismus war letztendlich immer die Ideologie des starken Staates im Schafspelz des Individualismus, oder genauer gesagt, die Ideologie eines starken Staates als einzig möglichen Garant des Individualismus.

Wallerstein spielt mit der Idee, dass es seit 1789 nur eine einzige wahre Ideologie gegeben habe, die des dieser zentristischen Liberalismus, die in unterschiedlichen Spielarten auch von den anderen beiden politischen Grundströmungen, dem Konservatismus und dem Sozialismus, geteilt wurde. Zumindest konnten sich die anderen Strömungen nicht erfolgreich gegen diese Ideologie positionieren. Hierzu bringt Wallerstein viel Material. Das ist sehr lesenswert und diskussionswürdig.

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White Charity – Repräsentationen von „race“ und „whiteness“ auf Spendenplakaten von Hilfsorganisationen

9. November 2012

Am Dienstag ist mir am Würzburger Bahnhof ein Werbeplakat der protestantischen Hilfsorganisation Diakonie aufgefallen, das an sich typisch ist für die bildliche Präsentation leidender Menschen in der Entwicklungs- und Katastrophenhilfe: als nicht-weiß, nicht-europäisch, als unmündige Kinder und als hilflose Opfer.

Plakat der Hilfsorganisation Diakonie am Würzburger Hbhf., Foto: R. Hölzl, 6.11.2012.

Die Website „White Charity“ analysiert die Bildstrukturen und Wirkungen von derlei Spendenwerbeplakaten aus Sicht der Postcolonial Studies.  In diesem Blog-Eintrag stelle ich diese hervorragende Seite kurz vor. Am Ende will ich an dem Diakonie-Plakat, das stellenweise über bisherige Bildstrategien hinausweist, versuchen, einige kritische Ergänzungen zu den Analysen von White Charity zu machen.
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Donny Gluckstein: A People’s History of the Second World War. Resistance versus Empire.

4. August 2012
111-SC-217401.Source: http://www.archives.gov/research/ww2/photos/images/ww2-102.jpg Collection:  http://www.archives.gov/research/ww2/photos/#germany

An American officer and a French partisan crouch behind an auto during a street fight in a French city, ca. 1944. Public Domain via Wikimedia Commons

Dieses Buch sollten alle kennen. A People’s History of the Second World War. Resistance versus Empire betrachtet die Geschichte des Zweiten Weltkriegs „von unten“. Und das bedeutet einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel. Die Befreiungs-, Widerstands- und Partisanenbewegungen erscheinen nicht als Anhängsel der westlichen Militärapparate oder als fünfte Kolonne der stalinistischen Sowjetunion, sondern als das, was sie in Wirklichkeit waren: eigenständige Bewegungen, die sich nicht nur gegen die mörderischen Achsenmächte zur Wehr setzten mussten, sondern auch noch mit den politischen Zielen der Alliierten in Konflikt standen.

Donny Gluckstein kann zeigen, dass es im Zweiten Weltkrieg zwei „parallele Kriege“ gab – einen „imperial war“ und einen „people’s war“:

Allied ruling classes battled to defend their privileged status quo from internal and external threats, while popular armed struggle strove for real, all-encompassing, human liberation and a more just, democratic future. Imperialists sacrificed life indiscriminately to achieve their end; partisans and guerillas defended local populations from aggression and agonised over the risks their actions posed for civilians. Conventional soldiers were subordinate to a rigid hierarchy and sworn to unquestioning obedience; fighters of the people’s war, whether in the soldiers‘ parliament in Cairo, the ghettos in Detroit, or the mountains of Greece, Yugoslavia and Italy, were conscious volunteers driven by ideological commitment.

Mehrheitlich zogen die Widerstandsbewegungen nach links, verwirklichten basis- und radikaldemokratische Ideen, beschäftigten sich mit sozialistischen und kommunistischen Gesellschaftsentwürfen – natürlich jenseits des terroristischen sowjetischen  Modells.
Als Befreiungsbewegungen gewannen sie breite Unterstützung in der Bevölkerung. Für viele Menschen schien ab 1943 eine andere, demokratischere  Gesellschaftsordnung in greifbare Nähe zu rücken. Und die Befreiungsbewegungen waren die zentralen Akteure des möglichen Wandels.

„Parallel Wars“ – schwer zu vereinheitlichen

Gluckstein ergreift Partei für die Widerstands- und Partisanen-Bewegungen, weil ihre Projekte und Ziele systematisch aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt wurden. Und das geschah nicht ohne Grund: Die demokratie- und wirtschaftspolitischen Forderungen gingen weit über das hinaus, was die Supermächte akzeptierten und zuließen. Erst vor kurzem verdeutlichte Stéphane Hessels Buch „Empört euch!“ die politische Sprengkraft des Themas. Der ehemalige Résistance-Kämpfer sprach sich seiner millionenfach verkauften Schrift für die Wiederbelebung der Werte der Résistance aus.

Dankenswerterweise vermeidet Gluckstein jede Heroisierung und Simplifizierung. Er zeigt die Probleme und Ausprägungen der sehr heterogenen Bewegungen und thematisiert ihre inneren Widersprüche. So macht er unter anderem deutlich, dass „people’s war“  nicht einfach als Klassenkampf oder nationaler Befreiungskampf verstanden werden kann, sondern ein Amalgam aus beiden war.

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Die leidige Verweigerung der Gleichzeitigkeit

28. Juni 2012

HSOZKULT weitet den Blick. Beim Sortieren der Botschaften, die einem täglich in den Email-Account flattern, sortiert man zwar schnell zwischen relevant oder nicht relevant für die eigene Forschung. Manchmal ergibt sich jedoch eine produktive Irritation aus den entfernteren Bereichen der Geschichtswissenschaft. Leider gibt es auch weniger produktive Irritationen, wie den Bericht zu einer Tagung des Erlanger Forschungsprojekts „Gotische Kriegergruppen im spätrömischen Reich“ mit dem Titel „Mobile Kriegergruppen in Europa und Afrika. Transkulturelle Perspektiven“.

Belisar und die Goten (1830), aus: Wikimedia Commons.

Als Ziel der Tagung geben die Veranstalter an:

„Der Workshop bringt Phänomene zusammen, die sonst getrennt betrachtet werden: Kriegergruppen im spätantiken Mittelmeerraum sowie neuzeitliche Kriegsherren und ihre Gefolgschaften in Afrika. […] Der Workshop untersucht sowohl die Gemeinsamkeiten mobiler Kriegergruppen im Europa der Spätantike und im (vor-)modernen Afrika als auch phänomenologisch ähnliche Entwicklungen in unterschiedlichen Kulturräumen und zu verschiedenen Zeiten. Die sich aus dem komparativ angelegten Programm ergebenden transkulturellen Perspektiven sollen der Schärfung des methodischen Zugriffs in den beteiligten Disziplinen dienen. Hinter der Auswahl der Einzelthemen steht der Versuch, eine Zusammenstellung anschaulicher Beispiele für die Bedeutung von Mobilität für den Erfolg im fortwährenden Daseinskampf der Kriegergruppen zu geben.“

Verwunderlich an diesem Programm ist vor allem die, wahrscheinlich unbewußte, Perpeturierung kolonialer Perspektiven und Narrative. Seit dem späten 19. Jahrhundert durchzieht die Erzählung vom zivilisatorischen Entwicklungsvorsprung Europas insbesondere gegenüber afrikanischen Bevölkerungen die kolonialen Diskurse. Dies produzierte zum einen die Idee der Geschichtslosigkeit Afrikas und zum anderen die Idee, afrikanische Gesellschaften mit den „Barbaren“, wie sie von den römisch-antiken Autoren beschrieben wurden, zu vergleichen. Der Ethnologe Johannes Fabian hat diese diskursive Praxis als „denial of coevalness“ bezeichnet. Ergebnis der „Verweigerung der Gleichzeitigkeit“ war die radikale Alterisierung und letztendlich die Legitimation kolonialer Unterwerfung afrikanischer Bevölkerungen.

Das diese Vergleiche nun erneut angestellt werden, lässt mich gelinde gesagt staunen. Wenn man schon diese radikale Enthistorisierung von „Gewaltgemeinschaften“ vornimmt – warum (1) nimmt man nicht europäische Gewaltgemeinschaften der Neuzeit in den Vergleich mit hinein. Das 20. Jahrhundert böte genügend Beispiele – der Verweis auf Timothy Snyders „Bloodlands“ dürfte hier wohl genügen. Warum (2) untersucht man nicht die Interaktion von Europäern und Afrikanern, die in zahlreichen Kolonialkriegen transkulturelle Gewaltgemeinschaften bildeten, etwa während des Maji-Maji-Krieges in „Deutsch-Ostafrika“? Warum nicht rezente euro-amerikanische Söldner-Armeen, wie etwa die „Sicherheitsdienstleister“ von Blackwater? Warum nicht die Zusammenhänge von afrikanischen Gewaltgemeinschaften und globalen Wirtschaftsbeziehungen (Stichwort: Sklavenhandel im 19. Jahrhundert oder Rohstoffmärket für „blutige Diamanten“, Erdöl oder seltene Erden im 20. Jahrhundert)?

Die Organisatoren argumentieren in dem zitierten Statement insbesondere mit der Mobilität der untersuchten Kriegergruppen.  M. E. ist es jedoch fraglich, ob es genügt, ein Charakteristikum herauszugreifen, um diese Art des Vergleichs zu rechtfertigen. Wenigstens müssten die Traditionslinien klar und kritisch reflektiert werden, in denen diese Herangehensweise steht, bevor man sie reaktiviert. Der Tagungsbericht und die Tagungsankündigung geben leider keinen Hinweis darauf, dass dies geschehen ist. Aber vielleicht erschließt ja ein zukünftiger Sammelband das Feld auf andere Weise.

Zitierte Literatur:

Johannes Fabian, Time and the Other. How Anthropology makes its Object, New York 2002 [1983].