
Ernst Busch 1946 (Foto: Abraham Pisarek. Deutsche Fotothek, Lizenz: CC Share Alike 3.0 Germany) via Wikimedia Commons)
Rezension von Ralf Hoffrogge (Eine Kurzversion erschien im September 2012 in der Zeitschrift „Analyse und Kritik“, AK Nr. 575)
„Er rührte an den Schlaf der Welt…“ – diese Zeilen von Johannes R. Becher bezogen sich auf Lenin – doch eingeprägt haben sie sich durch die Stimme von Ernst Busch, der sie in einer einzigartigen Interpretation um die Welt schickte. Daher ist es mehr als angemessen, wenn Jochen Voit diesen Liedtext zum Titel seiner jüngst erschienenen Biographie des Arbeitersängers wählte. „Mit Worten, die Blitze waren“ lautet die nächste Zeile des Liedes, und auch diese mag man getrost auf Ernst Busch beziehen. Denn für viele Zuschauer war es in der tat ein elektrisierendes Erweckungserlebnis, wenn er Texte von Erich Weinert, Bertolt Brecht und Johannes R. Becher schmetterte, die diese oft eigens für ihn verfaßten. Manch einer soll nur wegen seiner Musik zum Marxisten geworden sein. Ernst Busch war letztlich wohl der einzige Sänger, der politische Generationen wie die Weimarer KPD der 20er Jahre, die DDR-Aufbaugeneration ab 1945 und die westdeutschen 68er gleichermaßen zu begeistern vermochte.
Dies gelang nicht nur mit markiger Stimme und Agitprop-Texten. Auch die Kompositionen seiner Lieder mußten einzigartig sein, und sie waren es. Der Schönberg-Schüler Hanns Eisler, mit dem Ernst Buch zeitweise in einer Künstler-WG zusammenlebte, komponierte zahllose Stücke eigens für ihn, darunter Klassiker wie „Das Solidaritätslied“ oder „Roter Wedding“. Es war diese kongeniale Zusammenarbeit mit der lyrischen und musikalischen Avantgarde seiner Zeit, die den Ruhm der Sängers begründete.
Denn vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit des ersten Weltkrieges waren Arbeiterlieder künstlerisch meist schlicht gestrickt, meist bloße Umdichtungen gängiger Volkslieder und Soldatenlieder. Erst das Trio Brecht-Eisler-Busch hob den proletarischen Gesang in den 1920er Jahren auf ein ganz neues Niveau. Sie hinterließen Musik für die Massen – zeitkritische Propagandaschlager, die es mitunter fertig brachten, auch als zeitlose Kunstwerke zu wirken.
Im Jahr 2010, Dreißig Jahre nach dem Tod des Künstlers und 110 Jahre nach seiner Geburt im norddeutschen Kiel legte Jochen Voit die erste kritische Biographie des Arbeitersängers vor. Kritisch – das bedeutet, dass Voit sich der Rolle Buschs als Legende, Idol und Staatskünstler der DDR bewußt ist, ihr aber nicht auf dem Leim geht. Er vermeidet die Versuchung jedes Biographen, seinen Protagonisten unkritisch zu überhöhen oder zu dämonisieren. (more…)