#mustread. Erste Ausgabe von „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ ist erschienen

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A-B-G-Logo-300x285Arbeiterbewegung (und Geschichte der Arbeiterbewegung) erlebt derzeit ein Revival. Sowohl ein kleines in der Akademie und ein mittleres in der realen Arbeits-Welt. Ein Zeichen für das letzte sind die Zunahme von Arbeitskämpfen, auch im globalen Norden, eines für das erste die Ausbreitung der „Global Labour History“ (GLH) in der vor allem internationalen Arbeits- und Arbeitergeschichte. GLH nimmt auch Formen von „Arbeit“ jenseits des klassischen, männlichen Normalarbeitsverhältnisses in den Blick: Sklaverei, Sex-Arbeit, prekarisierte und Care-Arbeit.

Arbeit – Bewegung – Geschichte versucht die Erneuerung der Arbeitergeschichtsschreibung oder besser: des Verfassens der Geschichte der arbeitenden Menschen und ihrer Versuche, sich zu organisieren, mit voranzutreiben. Von 2002 (vgl. Anm. 1) bis 2015 erschien diese Zeitschrift unter dem Namen JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Vorher, und das bedeutet konkret seit der Gründung 1969 bis 1989/90, war sie die offizielle Fachzeitschrift der DDR zum Thema, herausgeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und hieß Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzG). Nach der Abwicklung der DDR wurde sie von DDR-sozialisierten HistorikerInnen ehrenamtlich weiter getragen – und geprägt. Dieser Ost-Nimbus war aber auch ein Hindernis bei der Weiterentwicklung der Zeitschrift hin zu weitergespannten Themen und zur Platzierung als Zeitschrift, die im wissenschaftlichen Diskurs nicht ignoriert werden kann.

Die aktuelle Ausgabe wartet mit einem umfangreichen und spannenden Schwerpunkt zu „Linke Betriebsintervention, wilde Streiks und operaistische Politik 1968 bis 1988“ in Deutschland und Italien auf. Das Heft stellt damit diese immer noch relativ unbekannte Theorietradition und Versuche ihrer praktischen Umsetzung vor. Das 230 Seiten umfassende Heft zeichnet diese turbulente historische Phase an der Schnittstelle zwischen „alter“ Arbeiterbewegung und „neuen“ sozialen Bewegungen in verschiedenen Schlaglichtern nach. Der Operaismus speiste sich aus einer Unzufriedenheit von Arbeitern und Studierenden mit den Taktiken traditioneller Gewerkschaften und Parteien, seinen Ausgangspunkt nahm er in Italien Mitte der 1960er Jahre. Er steht für eine Phase revolutionärer Ungeduld und neuer Protestformen wie wilden Streiks, aber auch für die „Intervention“ von Studierenden und Nachbarschaftsgruppen in Betriebskämpfe. Antonio Lenzi untersucht anhand der italienischen Gruppen „Il Manifesto“ und „Lotta Continua“ die Entstehung der revolutionären Linken Italiens, Davide Serafino beschreibt eine frühe Betriebsintervention von Medizinstudierenden im Genua des Jahres 1969, ein Interview mit Karl Heinz Roth und die Dokumentation einer Konferenz operaistischer Gruppen beleuchten Versuche, Betriebskämpfe europaweit zu vernetzen und auszuweiten. Dies war in Deutschland nicht gern gesehen, insbesondere Streiks migrantischer ArbeiterInnen galten als verdächtig, wie Torsten Bewernitz Aufsatz „Terror der ausländischen Arbeiter“ – Die wilden Streiks im Rhein-Neckar-Gebiet im Mai 1973″ zeigt. Sebastian Kasper untersucht die Betriebsintervention studentischer Sponti-Gruppen, während Nelli Tügel „Aushandlungsprozesse im Umfeld des wilden Streiks bei den Kölner Fordwerken 1973 und des Besetzungsstreiks bei Krupp in Duisburg-Rheinhausen 1987/88“ untersucht. Thematische Rezensionen v.a. zur Verschränkung von Betriebskämpfen und neuer Linker in Italien und Deutschland runden das Themenheft ab.

Mit dem Relaunch hat „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ als mittlerweile einzige deutschsprachige, gedruckte Fachzeitschrift mit dem Schwerpunkt ´Geschichte der ArbeiterInnenbewegung` einen wichtigen Schritt dahin getan, sich im Forschungsfeld zu positionieren. Sie wendet sich ausdrücklich an neue Leserinnen und Leser außerhalb akademischer Kreise. Insbesondere der neue Name ist ein gelungenes Signal, das eine thematische Erweiterung und Modernisierung dokumentiert.

Ein Einzelheft kostet 14 EUR zzgl. Porto, ein Jahresabo für drei Hefte nur 35 EUR incl. Porto. Das Inhaltsverzeichnis des aktuellen Heftes findet sich hier: http://www.arbeiterbewegung-jahrbuch.de/?p=536

(1) Der Grund für den Namenswechsel 2002 war ein Gerichtsprozess: der Trafo-Verlag als neuer Herausgeber der Post 1989er BzG hatte sich den Namen unter den Nagel gerissen und die Redaktion entlassen. Er war jedoch unfähig, die Zeitschrift weiterzuführen – die Redaktion hat dann mit den bereits vorhandenen Manuskripten ein „Jahrbuch“ rausgegeben. Der Name Jahrbuch blieb, weil die (alte) Redaktion den alten Namen nicht mehr benutzen durften und sich auch nicht als Nachfolger bezeichnen durften. Aus dem Provisorium wurde allerdings eine Erfolgsgeschichte: Das Jahrbuch konnte die AbonenntInnen überzeugen und mitnehmen, der Verlag scheiterte mit seinem „Piratenakt“, und die Wandlung der Zeitschrift war nun auch im Namen sichtbar. Diese Neugründung war somit erzwungen, aber auch eine Chance.

Text: Bernd Hüttner

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