Gesucht: Alternative Konzeptionen zu Europa

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Manche in im linken Spektrum sind ja der Meinung, dass die heutige Europäische Union ein neoliberales, imperiales und undemokratisches Projekt sei, an dessen Fortbestand man nicht interessiert sein müsse. Dagegen ist einzuwenden, dass ein Auseinanderfallen der Europäischen Union unvermeidlich den nationalistischen und rechten Kräften Auftrieb geben würde. Und es fehlt heute an Visionen für eine demokratische und soziale Integration der europäischen Gesellschaften. Es gibt zwar Teilkonzepte, aber das wars dann auch schon.

Und deshalb sind meiner Meinung nach auch engagierte Historikerinnen und Historiker gefragt: Denn in der Geschichte der Linken gab es, soweit ich weiß, immer wieder vereinzelt Programmatiken für ein demokratisches und solidarisches Europa. Deswegen frage ich mal in die Runde: Hat jemand Ideen oder Hinweise? Beispielsweise zu interessanten Konzepten des europäischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg, in der Partisanenbewegung, aber auch in der Nachkriegszeit und rund um „1968“? Was und wer sollte berücksichtigt werden? Was würde eurer Meinung nach in eine alternative europäischen Geschichte reingehören? Nicht nur ideengeschichtlich, sondern darüber hinaus. Gibt es Leute, die sich damit beschäftigen?

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9 Antworten to “Gesucht: Alternative Konzeptionen zu Europa”

  1. Judith Dellheim Says:

    siehe mal:
    http://www.europe4all.org
    „Soziales Europa – ein Manifest“
    Das „Manifesto“, herausgegeben von David Flacher …
    Es gibt Unmengen von Diskussionsangeboten zu dem Thema

    • Richard Heigl Says:

      Hallo Judith, auf die Seite komm ich gerade nicht drauf (hab keine Rechte, sagt er). Aber ich schau mal, ob ich das irgendwie anders finde :-)
      Richard

  2. W. I. Lenin Says:

    W.I. Lenin, „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“ [1915]

    „Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d.h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die „fortgeschrittenen“ und „zivilisierten“ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär. Das Kapital ist international und monopolistisch geworden. Die Welt ist aufgeteilt unter ein Häuflein von Grossmächten, d.h. von Staaten, die in der grossangelegten Ausplünderung und Unterdrückung der Nationen die grössten Erfolge zu verzeichnen haben. […]

    Ferner haben England, Frankreich und Deutschland im Ausland mindestens 70 Milliarden Rubel Kapital untergebracht. Um die „legitimen“ Einkünfte aus dieser hübschen runden Summe – Einkünfte von über drei Milliarden Rubel jährlich – einzutreiben, sind die nationalen Millionärsausschüsse da, Regierungen genannt, die über Heere und Kriegsflotten verfügen und in den Kolonien und Halbkolonien die ganze Sippschaft des „Herrschers Kapital“ in der Eigenschaft von Vizekönigen, Konsuln, Botschaftern, Beamten aller Art, Pfaffen und sonstigen Blutegeln „unterbringen“.

    So ist in der Epoche der höchsten Entwicklung des Kapitalismus die Ausraubung von rund einer Milliarde Erdbewohnern durch ein Häuflein von Grossmächten organisiert. Und unter dem Kapitalismus ist jede andere Organisation unmöglich. Auf Kolonien, auf „Einflusssphären“, auf Kapitalexport verzichten? Daran zu denken hiesse auf das Niveau des Pfäffleins herabsteigen, das jeden Sonntag den Reichen die Erhabenheit des Christentums predigt und ihnen rät, den Armen zu geben …nun, wenn nicht ein paar Milliarden, so wenigstens ein paar hundert Rubel im Jahr.“

    Online: http://www.ml-werke.de/lenin/l_21_342.htm

  3. Bernhard T. Says:

    Nieder mit der imperialistischen EU! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
    Vgl. http://www.icl-fi.org/deutsch/spk/183/eu.html

  4. Sasek Says:

    Check eipcp.org, dort die Selbstverständnisrubrik. Gruss S

  5. Torsten B. Says:

    Für die Perspektive der (Post-)AnarchosyndikalistInnen nach 1945 ist dieses Bändchen ganz interessant: Fritz Linow: Anarchismus. Aufsätze. Oppo-Verlag, Berlin 1991. Es handelt sich um eine sammlung von beiträgen Linows aus den 40er und 50er Jahren. Der Titel „Anarchismus“ ist recht irreführend, denn darum geht es in den Beiträgen kaum. Immer wieder kommt aber das Plädoyer für ein blockfreies Europa jenseits von Kapitalismus und Bolschewismus auf.

  6. Gregor Kritidis Says:

    Lieber Richard,

    die Schrift „Jenseits des Kapitalismus“ von Paul Sering (Richard Löwenthal), Nürnberg 1946, ist m.W. die avancierteste Konzeption eines sozialistischen Europas jenseits der entstehenden Blöcke. Die Erfahrung der Labour-Wahlsieges 1945 stand dabei Pate, ebenso die umfangreiche Diskussion über die Bedeutung der Planung („Plankapitalismus“). Abendroth hat da mitdiskutiert, und – soweit ich sehe – entspricht dieses Buch mehr oder minder seiner Position. Inwieweit so ein (positiver) Staatsbezug heute noch vertretbar ist, wäre freilich zu diskutieren.
    Zum zweiten: Eugen Kogon ist sicherlich einer der wichtigeren Vordenker eines geeinten Europas.
    Die Linke in Griechenland sieht die europäische Einigung mittlerweile mehr als kritisch, viele würden vermutlich Lenin vorbehaltlos zustimmen. De fakto ist Griechenland in der Tat kaum noch als Völkerrechtsubjekt im staatsrechtlichen Sinne zu sehen, sondern ein EU-Protektorat. Ich hielte es für fatal, würde sich die europäische Linke analog zur demokratisch-nationalen Bewegung in Deutschland verhalten, die im Verfassungskonflikt mit Bismark klein bei gab und schließlich – mehrheitlich – der Vereinigung Deutschlands unter Preußischem Kommando den Segen gab. Freiheit geht nicht vor Einheit.

    Gruß an die Gemeinde,
    gregor

  7. Richard Heigl Says:

    Hallo zusammen,
    erst einmal vielen Dank für die vielen Hinweise! Ein paar Sachen habe ich auch per Mail bekommen. Ich schau mal, was man damit machen kann. Wobei ich vor allem die historischen Sachen im Blick habe.
    Weil es in einer Mail anklang: Ich wollte nicht die Schuld am Scheitern der EU der Linken zuschieben, kann auch nicht die Komplexität des Themas auch nur ansatzweise darstellen. Mir gings darum, dass ich innerhalb der europäischen Linken ein eigenständiges politisches, kulturelles, wirtschaftliches Projekt vermisse, das auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Und wie man schon auf die erste Nachfrage hin sieht, gibt es dazu Ansätze – historische und aktuelle. Und die müssen wir auf den Tisch legen und besprechen.

  8. Ferruta Says:

    Pierre Musso
    Saint-Simon, l’industrialisme contre l’Etat, La Tour d’Aigues, Editions de l’Aube, 2010.

    Les Etats-Unis d’Europe
    Edition présentée et annotée par Pierre Musso
    Charles Lemonnier
    Editeur : Manucius
    Collection : Europe / Fondations
    ISBN : 978-2-84578-130-6
    152 pages – Parution : 09/2011

    Altiero Spinelli
    Manifest der europäischen Föderalisten, Frankfurt a.M.: Europäische Verl.-Anst., 1958.
    Avventura europea, Bologna: Il Mulino, 1972.
    Il progetto europeo, Bologna: Il Mulino, 1985.
    Una strategia per gli stati uniti d’Europa, Bologna: Il Mulino, 1989.
    Diario europeo (Tagebuch), 3 Bände, Bologna: Il Mulino, 1989-92.
    L‘ Europa tra ovest e est, Bologna: Il Mulino, 1990.
    Come ho tentato di diventare saggio (Autobiografie), Bologna: Il Mulino, 2006.

    Ursula Hirschmann,
    „Noi senzapatria“, Il Mulino, Bologna, 1993

    Nicht nur Lenin…obwohl Sinn macht!
    Paola F.

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