Während die EU Sanktionen gegen die Elfenbeinküste beschließt und die Regierungen der Staaten Westafrikas den abgewählten Präsidenten der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo zur Amtsübergabe an Alassane Ouattara zu überreden versuchen, befürchten zahlreiche IvorerInnen den Ausbruch eines Bürgerkriegs – 8 Jahre nach dem letzten. Der überaus informative Netzauftritt des Journal Africultures publiziert Stellungnahmen westafrikanischer und französischer KünstlerInnen und Wissenschaftlerinnen (Calixthe Beyala; Tiken Jah Fakoly und Alpha Blondy; Marc Augé). Daneben gibt es Hintergrundrecherchen zur politischen und historischen Situation in der Elfenbeinküste in französischer und z. T. englischer Sprache.
- Abidjan, Quelle: Wikimedia Commons, GNU FDL, Autor: Zenman+Marku1988
Überhaupt scheint diese Seite ein guter Ort zu sein, Informationen zu (west-)afrikanischer Kunst, Kultur, Politik und Geschichte zu bekommen, auch wenn nicht gerade ein Konflikt droht und die mainstream-Medien die Existenz dieses Teils der Erde entdecken. Ein Beispiel:
Im Fahrwasser der postcolonial studies (z.B. Homi K. Bhabha oder Arjun Appadurai) finden sich häufig recht hoffnungsvolle Annahmen über globale Grassroots-Bewegungen, die der Macht der Großkonzerne und Weltmächte ein Gegengewicht entgegenstellen würden. Die Einblicke in die politische Öffentlichkeit der ivorischen Hauptstadt Abidjan, die Karel Arnaut und Raymond Dakoua auf africultures.com über die Rolle ehemaliger Bürgerkriegsmilizen geben (Guantánamo at Abidjan: Urban militias on the eve of the presidential elections in Côte d’Ivoire). Die ehemaligen Kämpfer bedienen mit die vielfältige Nachfrage eines politischen Markts mit kreativen und häufig gewalttätigen Mitteln. Ihr Angebot reicht von der Organisation von Wahlkampfveranstaltungen, Security für Kandiaten, Demonstrationen, Aufmärschen über Agitation auf den Marktplätzen der Stadt bis hin zur Einschüchterung politischer Gegner.
Die Polit-Unternehmer und ihre Familien leben in einer Art Großkommune in nicht-fertiggestellten Wohnblöcken am Rand Abidjans. Sie nennen es Guantanamo. Allerdings nicht in der Bedeutung eines Gefängnisses, sondern einer uneinnehmbaren Festung. Ihre politischen Aktivitäten sind eine Überlebensstrategie in einer Welt ohne Chancen.
Für Arnaut liegt viel düstere Zukunft in der Situation in Abidjan. Die politischen Öffentlichkeiten vieler Gesellschaften, die gerade einen Krieg oder einen Bürgerkrieg hinter sich haben, seien ähnlich strukturiert:
Although ‚Guantánamo‘ remains an important locus of the militia’s post-conflict socialisation and reinvention, it must be situated within an even larger landscape of urban political action. As the 21st century advances, one encounters more and more examples of post-conflict areas where militias continue to interfere with public life. Some see this rising ‚militianisation‘ as an indicator of growing brutalisation of political life in ‚young democracies‘ such as has been seen in Liberia and Iraq.
Längst sind afrikanische Nachbürgerkriegsgesellschaft keine Sonderfälle vermeintlich eklatanter Unter- oder Fehlentwicklungen mehr – sie setzen Trends für globale Konfliktlinen. Durch Bürgerkriege, neokoloniale Handelskriege, die mit dem Mittel der Marktabschottung operieren, und Finanzkrisen, die nur von europäischen Sozialstaaten noch einigermaßen abgefedert werden können, werden Menschen in Situationen gebracht, in denen sie nach den letzten Chancen greifen. Sie nutzen „Talente“, die sie im Krieg erworben haben, gewinnbringend, um zu überleben. Auch sie sind Teil einer verzweifelten grassroots-Bewegung, die mit den Auswirkungen globaler Machtkämpfe zurechtzukommen versucht. Europa scheint sich mit Hilfe von Terror- und Einwanderungsgesetzgeung sein eigenes Guantanamo zu erbauen – eine Festung, in der sich der Rest des Globus vergessen lässt. Aber genauso wie im US-amerikanischen Guantanamo könnte sich die Festung als Gefängnis erweisen.
Zugegeben, dies sind reichlich fatalistische Gedanken. Allerdings helfen die Insider-Informationen und Analysen, die z.B. africultures.com zur Verfügung stellen, die Situationen in (Post/Prä-) Bürgerkriegsgebieten zu verstehen und die Meldungen des medialen Mainstreams zu hinterfragen. Letztere zeigen uns wieder einmal das einfache Bild eines egozentrischen afrikanischen Diktators, der bereit ist, seine verführbaren Anhänger in den Tod zu schicken und die Bevölkerung seines Landes unendlichem Leid preiszugeben.
Schlagwörter: Afrika
Kommentar verfassen